Publiziert in: er. 16 kurze Geschichten. Pendo Verlag, Zürich, 1981
Er lachte. Sass einfach da und lachte. Dennen hatte er’s gegeben! Mit der linken Hand umklammerte er die Plastiktragtasche. Denen hatte er’s gezeigt! Sorgfältig öffnete er die Tasche ein wenig, blickte auf das kleine goldbraune Knäuel. Seine Lippen gaben schnalzende, beruhigende Geräusche von sich. Das kleine Knäuel regte sich, verängstigt, eingeschlossen. Seine Hand fuhr vorsichtig in die Plastiktasche, streichelte das Knäuel. Dann lacht er wieder.
Zu alt, hatte man ihm gesagt. Sorgepflicht. Es sei verboten, hatte man ihm gesagt. Hausordnung.
Dann war er einfach in den Laden gegangen und hatte den kleinen Goldhamster gestohlen. Einfach aus dem oben offenen Käfig genommen und in die Tasche gesteckt. Dann der Laden verlassen. Er lachte und freute sich über den gelungenen Coup.
Im Pflegeheim drückte er sich an der Portiersloge vorbei und fuhr mit dem Lift nach oben. In seinem Zimmer liess er den Hamster aus dem Sack. Zitternd blieb dieser auf dem Teppich sitzen. Futter. Er musste ihn füttern! Aber erst ein kleines Nest… Hastig verschnipselte er eine Zeitung, legte die Fetzen in eine Schachtel. setzte den Hamster hinein. Futter. Wo kriegte man das her? Was isst ein Hamster überhaupt? Eilig schob er die Schachtel in seinen Kleiderschrank. Dann lief er zur Tür.
Im Konsumgeschäft irrte er zwischen den Regalen herum. Nüsse. Sicher isst er Nüsse, dachte er. Und Rüben. Milch. Salat. An der Kasse zahlte er und verstaute das Gekaufte in einer Papiertüte.
„Na, Herr Rinderknecht? Einkäufe gemacht?“ Die Tagesschwester bleckte ihn an. Murmelnd ging er an ihr vorbei, hinauf in sein Zimmer.
Der Hamster frass. Glücklich sah ihm Karl Rinderknecht zu. Er frass. Karl Rinderknecht fühlte sich wie neu geboren. Jetzt war er nicht mehr allein.
Der Hausleitung war aufgefallen, dass Karl Rinderknecht praktisch den ganzen Tag auf seinem Zimmer blieb. Nicht mal mehr im Fernsehzimmer liess er sich blicken. Man schickte den Hausarzt zu ihm.
Monate später fand die Putzfrau den Hamster. Karl Rinderknecht war kurz auf der Toilette gewesen, und die Putzfrau hatte unterdessen sein Zimmer betreten, in der Annahme, er sei ausgegangen. Der Hamster sass auf dem Teppich. Ein angenagtes Salatblatt lag neben ihm.
Die Hausleitung verwarnte Karl Rinderknecht. Den Hamster nahm man ihm weg.
Eine Woche später sah man ihn wieder – zum ersten Mal seit langer Zeit – im Fernsehzimmer.
Die Hausleitung hat Karl Rinderknecht auf Weihnachten ein Stofftier geschenkt.