Hall of Shame – eine kleine Vorschau
Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn Leute behaupten, dass sie nur gute Bücher lesen und gelesen haben. Als ehemaliger Buchhändler wurde ich während 24 Jahren von Leuten gequält, die mit glänzenden Augen solchen Quatsch erzählten. Jeder lesende Mensch lässt sich von irgend etwas leiten, um ein Buch zu kaufen und zu lesen. Das kann z.B. eine persönliche Empfehlung, ein Klappentext, eine Besprechung, die Bestsellerliste oder auch ein ansprechender Schutzumschlag sein. Dann liest man also dieses Buch. Wenn es einem nicht auf Anhieb gefällt, so legt man es für ein Weilchen zur Seite oder stellt es zu den anderen Büchern ins Regal. Natürlich legt man noch den Zeitungsauschnitt einer Besprechung ins Buch; das sieht irgendwie professionell aus und man ist intellektuell auf der sicheren Seite, wenn der nächste Besuch, der das Buch zufällig gelesen hat (oder wenigstens so tut) über dieses Meisterwerk diskutieren will.
Nun, wenn ich ein Buch lese, das mir nicht gefällt, versuche ich zuerst, es FERTIG zu lesen. Das ist manchmal quälend. Quälend wie ein Nasenpoppel, der nicht befreit werden kann. Klappe ich das Buch dann endlich zu, dann findet es, wegen persönlichen Missfallens, keinen Weg in mein Büchergestell sondern wandert flugs gratis in die Krabbelkisten befreundeter Antiquare, wo sie für kleines Geld auf eine neue Leserschaft hoffen dürfen. Mittlerweile ist es aber mit den Antiquaren auch nicht mehr einfach. Mein Lieblinsantiquar in Zürich verlangt neuesterdings eine Gebühr von mir, wenn ich ein Buch von Peter Handke, Günter Grass, Martin Walser oder Paul Nizon loswerden möchte. Irgendwie ein sympathischer Mensch.
In meiner Buchhändlerzeit hatten meine Partnerin und ich eines Tages die glorreiche Idee, in unserem Schaufenster die schlechtesten Bücher auszustellen. Zwei befreundete Buchkritiker beteiligten sich an der Aktion und das Fenster füllte sich mit Werken aus drei Jahrhunderten; versehen mit kurzen Begründungen, warum sie uns nicht gefallen haben. Die ganze Aktion war ein ziemlicher Erfolg und wurde sogar in der Zürcher Tagespresse mehrere Male erwähnt. Ehrensache war natürlich, dass wir diese (für uns) schlechten Bücher auch nicht zum Verkauf anboten sondern die interessierte Kundschaft zu Orell Füssli schickten.
in lockerer Folge werde ich nun in der HALL OF SHAME meine ganz persönliche Bibliothek der schlechtesten 100 Bücher auflisten, jeweils mit einer kurzen Begründung versehen. Wer ausführlicher diskutieren möchte, kann sich gerne per Mail bei mir melden.
Hermann und Dorothea von J.W. von Goethe
Ein Werk, dass wahrlich Alpträume auslöste! Ein Epos in neun Gesängen über die Liebe eines jungen Mannes aus reichem Haus zu einem armen Mädchen, das mit einem Flüchtlingstreck durch die Lande zieht, mutig ist und ziemlich geil aussieht. Natürlich darf der Hermann die Dorothea nicht lieben und auch nicht heiraten, weil das dem reichen Vater nicht passt. Was nun folgt ist ein unglaubliches Gesülze in neun Gesängen (benannt nach den griechischen Musen) in dem keine Platitüde, keine Flachheit ausgelassen wird. Was Hedwig Courths-Mahler, Marlitt, Dr. Bruckner und Groschenhefte à la „Wahre Geschichten“ und die Adels-Sülze-Zeitschriften der deutschen Regenbogenpresse nur ansatzmässig geschafft haben und immer noch schaffen, hat Goethe in endlose Hexameter gepackt: verlogener Kitsch, schwülstiger Nationalismus und ein scheussliches Frauen- und Männerbild. Schröcklich!
Ein kleines Zitat zur Illustration:
Sorglich stützte der Starke das Mädchen, das über ihn herhing;
Aber sie, unkundig des Steigs und der roheren Stufen,
Fehlte tretend, es knackte der Fuß, sie drohte zu fallen.
Eilig streckte gewandt der sinnige Jüngling den Arm aus,
Hielt empor die Geliebte; sie sank ihm leis auf die Schulter,
Brust war gesenkt an Brust und Wang an Wange.
Peter Handke: Die linkshändige Frau
Ein gutes Beispiel für männliche Betroffenheitsliteratur der 70er-Jahre! Munter reiht sich ein Klischee ans andere und der Autor suhlt sich mit Möchtegern-feministischer Aussagekraft in den Niederungen weinerlicher Männlichkeit und persönlichem Frust.
„Das Buch klebt an den Händen! Man kann es nicht mehr weg legen!“ postulierten Verlag und einige Kritiker bei dessen Erscheinen. Das ist wahr! In der Tat ist das Buch in etwa so klebrig wie eine Rolle Fliegenpapier. Auch der schönste, verschnörkelste und intellektuellste Schreibstil mag eben nicht über die menschlichen Unzulänglichkeiten des Autors und sein gestörtes Verhältnis zum emanzipatorischen Frauenbild hinwegtäuschen. Die Germanisten mochten ihre Freude an dem Werk gehabt haben, kann man sich doch prächtig und unverständlich darüber unterhalten und sich dabei erst noch die nächste Therapiestunde ersparen.